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Kennen Sie das? Gefühlt einhundert Mal haben Sie Ihren Beschäftigten schon gesagt, dass das Tragen von Helmen Pflicht ist. Trotzdem sehen Sie immer wieder einzelne Beschäftigte ohne schützende Kopfbedeckung. Damit auf Baustellen und in Reinigungsobjekten ein sicheres und gesundes Arbeiten für alle möglich ist, gibt es klare Verbote und Gebote. Diese erreichen aber nicht immer ihr Ziel – insbesondere bei unbewusstem Verhalten. Mit geschickten Maßnahmen können alle im Betrieb aber noch mehr tun, damit sich jede und jeder sicherer verhält: Schon kleine Impulse und Anstöße im Alltag können dazu beitragen, dass das Arbeiten im Unternehmen sicherer und gesünder wird. Fachleute sprechen von der „Nudging“-Methode. Das heißt so viel wie Anstoßen oder Anstupsen. Wie können Baubetriebe davon profitieren?
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Ohne Schutzhelm betritt beim Bauunternehmen Yüksel keiner mehr die Baustelle. Dass die wichtige Vorgabe endlich bei allen Beschäftigten angekommen ist, erleichtert die Unternehmensverantwortlichen: Sie hatten immer wieder unterwiesen, erinnert und ermahnt – dennoch gab es jedes Mal aufs Neue Beschäftigte, die ihren Helm nicht anlegten. Bis schließlich eine simple, aber clevere Idee half: Das Ausbau-Unternehmen platzierte die Schutzhelme prominent und gut sichtbar auf einer Ablage in den Firmentransportern – direkt über den allerwichtigsten Werkzeugen, die auf wirklich jeder Baustelle zum Einsatz kommen. So kann niemand mehr losarbeiten, ohne die Helme groß und deutlich vor sich gesehen zu haben. Die Nutzung von Nudges sind kleine Veränderungen in unserer Umgebung, die dazu führen, dass wir unser Verhalten verändern. Solche Anstöße oder Schubser eignen sich gut, um etwa die Einhaltung von Sicherheitsvorgaben auf Baustellen zu verbessern. Schutzhelmen ist damit bei Yüksel zur absoluten Selbstverständlichkeit geworden. Möglich gemacht hat das bei diesem fiktiven Beispiel nicht der erhobene Zeigefinger aus der Chefetage, sondern eine sogenannte Nudging-Maßnahme in Form der neuen, prominent platzierten Helmablage.
Nudges sind gezielte Veränderungen in unserer äußeren Umgebung. Und diese können unsere Entscheidungen positiv beeinflussen – selbst bei unbewussten Prozessen und
Abläufen. Die aufgemalte Fliege im Urinal, auf die dann gezielt gepinkelt wird, ist eines der bekanntesten Nudges: Sie weckt den menschlichen Spieltrieb, wodurch die Toiletten sauberer bleiben. Ein weiteres Beispiel: Wird Obst in Kantinen an der Kasse auf Augenhöhe platziert, kaufen und essen Beschäftigte mehr Obst.
Die beiden Fälle zeigen, dass Nudging funktioniert und längst ein ganz selbstverständlicher Bestandteil unseres Alltags ist. Die Wirkung basiert auf grundlegenden Verhaltensweisen wie Bequemlichkeit, Normorientierung, einem Festhalten an einmal getroffenen Voreinstellungen oder einfach auch auf Spaß. Die Methode wurde von Fachleuten aus Wirtschaft und Psychologie entwickelt und lässt sich auch im Arbeitsschutz nutzen. Bei der Umsetzung sollten Unternehmerinnen und Unternehmer vor allem auf die folgenden Punkte achten:
Am besten sollten alle im Betrieb beim Nudging von Anfang an eingebunden werden: Das gelingt im Rahmen von ohnehin stattfindenden Besprechungen oder noch besser mit einem gesonderten Workshop. Im Austausch mit dem gesamten Team lässt sich schnell klären, wo es Potenzial für mehr Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz gibt.
Ausgangspunkt sind konkrete Alltagssituationen und -entscheidungen: Erst wenn allen klar ist, worin das gewünschte Verhalten besteht und welche Gründe und Vorteile es hat, kann dieses im nächsten Schritt auch realisiert werden. Mit einem vertrauten und kritischen Blick auf die Umwelt und etwas Kreativität lässt sich ein passender Nudge entwickeln.
Der Vorwurf der Manipulation ist die wohl gewichtigste Kritik am Nudging: Daher braucht es volle Transparenz. Sie als Unternehmerinnen und Unternehmer haben nichts zu verbergen. Im Gegenteil: Wer sich für mehr Sicherheit und Gesundheit geschickter, innovativer Instrumente bedient, tut Gutes und sollte darüber reden. Das schafft zusätzliches Vertrauen.
Das Nudging entbindet nicht von unternehmerischen Pflichten: Die Unternehmensverantwortlichen müssen unbedingt weiterhin auf Vorschriften, Unterweisungen sowie Gebote und Verbote setzen, denn Pflicht ist Pflicht. Außerdem gilt immer das TOP-Prinzip: Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz sind zunächst über technische und organisatorische Maßnahmen zu gewährleisten und erst nachrangig durch persönliche Maßnahmen, wo Nudges zum Einsatz kommen können. Nach wie vor passiert ein Großteil der Unfälle auf individueller Ebene. Und genau dort können Nudges eine zusätzliche Hilfe sein, um die Wirksamkeit beim Einhalten von Vorgaben zu erhöhen.
Viele Nudges zielen auf unbewusstes Verhalten ab, was sie zum effektiven Werkzeug gegen falsche Routinen macht, die sicherem und gesundem Arbeiten im Weg stehen können. Das könnten manche Beschäftigte als Eingriff in ihre Selbstbestimmung empfinden. Ein Nudge greift aber nicht stärker in die Selbstbestimmung ein als ein Gebot oder Verbot. Der Einsatz von Nudges im Bereich Arbeitssicherheit ist gerechtfertigt, da es hier viele entsprechende Regeln gibt, die gesetzlich vorgeschrieben und damit für alle verbindlich sind.
Forschungen zeigen, dass Personen an einem geänderten Verhalten festzuhalten scheinen, wenn sie erst einmal dazu angestoßen worden sind – selbst ohne erneute oder dauerhafte Nudging-Maßnahmen. Diese langanhaltenden Effekte machen Nudging zu einem attraktiven Baustein, um gesundes und sicheres Arbeiten im Unternehmen zu etablieren.
Ist das alles nur abstrakte Theorie oder funktioniert es auch wirklich? Tatsächlich lässt sich Nudging ohne großen Aufwand umsetzen – auch auf dem Bau mit seinen alltäglichen Herausforderungen. Das zeigen neben dem Helmbeispiel weitere konkrete Fälle, die unten aufgeführt sind. Aber Achtung: Nudges funktionieren nur, wenn sie zum Unternehmen passen und auf den betrieblichen Arbeitsalltag zugeschnitten sind. Eine pauschale Lösung für alle Fälle gibt es nicht.
Der Wasserkasten: Schon immer stellt ein Bauunternehmen bei hohen Temperaturen Mineralwasser bereit. Seit die Unternehmensverantwortlichen dafür sorgen, dass die Flaschen im Bauwagen prominent auf dem Tisch platziert sind, trinken die Beschäftigten mehr und verzichten öfter auf mitgebrachte Softdrinks: Das hilft gegen gefährliche Überhitzung und sorgt für eine gesündere Ernährung.
Der Rettungsweg: Trotz aller Schilder, Vorgaben und Ermahnungen ist der Rettungsweg auf Baustellen immer wieder versperrt – drinnen etwa durch Materialien, draußen vor allem durch Fahrzeuge. Zusätzliche Farbmarkierungen und auch Banner mit direkter Ansprache und dem Verweis auf mögliche Notfälle machen allen klar, dass die Flächen tabu sind: Die lebensrettenden Wege bleiben jetzt frei.
Der Desinfektionsspender: Fehlende Handhygiene kann schnell zum Gesundheitsrisiko werden – spätestens durch die Coronapandemie ist das allen klar geworden. Zentral platzierte Desinfektionsspender machen die Handhygiene zur Selbstverständlichkeit und Krankheitserregern das Leben schwer.
Der Aufkleber: Immer wieder halten Beschäftigte Maschinen falsch, was den Körper unnötig belastet oder etwa Finger gefährdet. Grelle farbliche Markierungen direkt am Gerät zeigen die richtige Handstellung. So lässt es sich sicherer und ergonomischer arbeiten.
28. Dezember 2022